Vom DDR-Bürger zum „Staatsfeind“: Alexander Richter im Gespräch mit der Q1 der Friedensschule

Alexander Richter ist im Jahr der Staatsgründung der DDR geboren. Der heute 70-Jährige war Jungpionier, Thälmannpionier und in der FDJ und überzeugt im besseren Teil Deutschlands zu leben.

Erste Risse bekam diese Wahrnehmung durch Westfernsehen und Radio. Irgendwie waren die Rolling Stones, die Popkultur und die Konsummöglichkeiten im Westen doch interessanter als das Grau in Grau der DDR. Glücklicherweise gab es die Oma, die in der Nähe von Hannover lebte und auch mal eine Jeans schickte. Diese in der Schule anzuziehen, war allerdings gar nicht erlaubt.

Hinzu kam, dass Richter, obwohl er der beste Schüler der Klasse war, nicht so ohne Weiteres auf das Gymnasium kam. Da mussten erst die Kinder verdienter SED-Mitglieder mit der Delegation zum Gymnasium versorgt werden, aber nach einigem Hin und Her durfte er auf ein Potsdamer Gymnasium gehen. Er kam allerdings in den naturwissenschaftlichen Zweig, obwohl der eigentliche Berufswunsch Sportreporter war. Daran war nun nicht mehr zu denken. Im sprachlichen Zweig gab es eben keine Plätze mehr und die Planwirtschaft brauchte Betonbauer. Parallel zur Schule durchliefen die Gymnasiasten eine Berufsausbildung. Nach der Schule mit nach eigenen Aussagen eher mäßigem Abitur folgten erst einmal eineinhalb Jahre Militärdienst bei der Nationalen Volksarmee inklusive Grenzdienst an der thüringisch-bayerischen Grenze in Sonneberg.

Ein Studium der Finanzwirtschaft an der Humbold-Uni Berlin ebnete den Weg in die staatlichen Finanzrevision im Bereich Bauwesen. Das eröffnete zumindest die Möglichkeit innerhalb der DDR herumzureisen und in den Betrieben die Planerfüllung und die Investitionstätigkeiten zu prüfen.

Die allmählich aufkommende Routine gepaart mit Langeweile führte Richter zurück zum Schreiben von Kurzgeschichten und Romanen. Gegenstand war die Wahrheit im Staate DDR und das heißt die Beobachtungen in den Betrieben der Planwirtschaft, die Bummeleien, die Korruption.

Nachdem sich Richter bei einem Treffen der Heimatvertriebenen in Schlesien in eine Frau aus Emsdetten verliebt hatte, begann er ihr sein Manuskript zuzusenden. So geriet er ins Visier der Stasi, die – wie die Akteneinsicht in die Stasiunterlagen später offenbarte – lange mitlas, bevor sie am 7. September 1982 zugriff, und Richter in die Untersuchungshaftanstalt in Potsdam brachte. Die zwischen 1977 und 1981 versendeten Schriftstücke und Liebesbriefe, seine kritische Sicht auf die DDR – all das wurde Gegenstand stunden-, tage-, wochenlanger Verhöre.

Plastisch schildert Richter den Schülerinnen und Schülern seinen monotonen Haftalltag in Isolation auf der Holzpritsche mit drei Decken, die nicht zu wärmen vermochten. Nach 11 Monaten U-Haft wurde er wegen „staatsfeindlicher Hetze“ zu sechs Jahren Gefängnis verurteilt, die er in Brandenburg neben Schwerverbrechern verbüßen musste.

Nach zweieinhalb Jahren Tätigkeit in der Lohnabteilung des Gefängnisses kam Richter auf Transport nach Karl-Marx-Stadt und das bedeutete, dass er vom Westen freigekauft worden war. Dort war, als er in Gießen ankam, gerade Karneval und Valentinstag: alles fremd, alles neu und das nach traumatisierenden Erfahrungen in der Haft. Richter musste sich innerhalb von drei Tagen entscheiden, wo und wie er im Westen leben will. Nach seinen Auskünften hat es aber viele Jahre gedauert, bis er zum Wessi wurde.

Die Wiedervereinigung erlebte er mit gemischten Gefühlen. Einerseits war es schön, dass die DDR zu Ende gegangen war. Andererseits wurde er nun wieder mit Menschen konfrontiert, die an seiner Ausspionierung beteiligt waren, wie Nachbarn seiner Eltern, in deren Garten aus einem Zelt heraus Richter beobachtet und abgehört wurde

Der DDR weint er heute keine Träne nach. Auf die Frage, ob der so etwas noch einmal auf sich nehmen würde, antwortet er, dass er es nach wie vor wichtig findet, gesellschaftliche Missstände nicht zu ignorieren sondern klar und deutlich anzusprechen. Ein wichtiges und beeindruckendes Statement an diesem „Tag der Menschenrechte“.

 

STR