An der B-Side, am Hafen, wurden wir von einem Team der Katholischen Hochschule Münster unter der Leitung von Prof. Jochen Bonz mit einer leckeren Stärkung und reichlich Getränken begrüßt und dann ging es auch schon los.
Zu Beginn betrachteten wir verschiedene Gemälde, die von Studierenden der Katho im Rahmen eines Besuchs der ehemaligen Tötungsanstalt Grafeneck geschaffen wurden. Wir sollten das Bild auswählen, das uns am meisten ansprach. Die Bilder waren anders als zu erwarten bei solch einem „dunklen“ Thema überwiegend bunt.
Um uns das Ausmaß der Verbrechen greifbar zu machen, war Kathrin Bauer extra aus Grafeneck bei Stuttgart angereist. Als Mitarbeiterin der Gedenkstätte konnte sie sehr anschaulich und gut nachvollziehbar beschreiben, wie die Tötungsanstalt „funktionierte“, in welchem Selbstverständis und wie die Täter agierten und welche Konsequenzen deren Handeln nach sich zog.
Frau Bauer präsentierte uns z.B. originale Dokumente wie Meldebögen und Sterbeurkunden aus Grafeneck, welche wir gemeinsam kritisch untersuchten.
Besonders eindrucksvoll waren persönliche Geschichten der Opfer, die sie mit uns teilte, welche gezeigt haben, dass hinter den 10.654 Opfern 10.654 unterschiedliche und individuelle Geschichten stehen, mit der einzigen Gemeinsamkeit in Grafeneck ermordet worden zu sein.
Für uns alle war es teilweise schwer, sich das Ausmaß anzuhören. Doch obwohl wir immer wieder emotional sehr betroffen waren, war es ein so wichtiger Einblick in die Geschichte. Durch Kathrin Bauers Art und Weise war der Vortrag nicht wirklich ein Vortrag, sondern eher eine Konversation. Wir durften jegliche Fragen stellen und bekamen immer eine Antwort. Mit der Zeit konnten wir auch begreifen, wieso Grafeneck heute weiter als Einrichtung für Menschen mit Behinderung und psychischen Erkrankungen fungiert, obwohl genau diese vor mehr als 80 Jahren genau dort ermordet wurden. Ja, für uns erschien es zuerst auch suspekt oder gar makaber, doch es ist genau das Gegenteil. Es ist ein Zeichen, ein Zeichen dafür, dass die Menschen sich nicht unterkriegen lassen, dass sie für sich selber einstehen und dass heute auch andere für sie einstehen. Zum Teil führen die Bewohner von Grafeneck die Besucher sogar über das Gelände der Gedenkstätte und klären auf.
Zugleich wurde auch nicht ausgelassen, dass diese Verbrechen und die Möglichkeiten dazu nicht von heute auf morgen von den Nazis erschaffen wurden. Die Grundlage dafür war bereits innerhalb der Gesellschaft gelegt. Denn auch vor den Nazis wurden Menschen mit Behinderungen und psychischen Erkrankungen von der Gesellschaft getrennt. Das sieht man auch an der Lokalisierung der Tötungsanstalten, welche, vor dem Missbrauch, Anstalten für diese Menschen waren. Man wollte sie damals nicht im gesellschaftlichen Leben haben und das machte es den Nazis so einfach, ihre Taten durchzuführen.
Nach ihrem Vortrag stellte sich Hannah Bischof vor und erzählte kurz die Geschichte ihrer Großmutter Maria, die Opfer der Euthanasie-Verbrechen wurde. Ausführlicher wurde sie am folgenden Tag in unserer Schule, als sie uns spontan besuchte und mehr von ihrer Spurensuche über die Vergangenheit ihrer Großmutter erzählte. Auch zeigte sie uns ihre Gemälde, mit denen sie selbst als Künstlerin versuchte, sich der Geschichte ihrer getöteten Großmutter anzunähern.
Im zweiten Teil des Workshops wurden wir selbst kreativ. Unter der Anleitung von Nina Spöttling-Metz nutzten wir farbige und schwarze Kohle, um unsere während des Vortrags gesammelten Emotionen und Eindrücke künstlerisch auszudrücken. Auch wenn man zunächst sich nicht hätte vorstellen können, dass das Malen einem wirklich hilft, war es im Nachhinein dennoch sehr wichtig, sich Zeit zu nehmen und alle Gedanken künstlerisch zu verarbeiten und aufzuarbeiten. Die anschließende Reflexion über die Bilder bot noch einmal einen breiten Einblick in die Ideen, Gefühle und Gedanken, die uns bewegten.
Auf Hinblick auf die heutige politische Lage und die kommenden Wahlen ist das ganze Projekt in unseren Augen ein wichtiger Beitrag zur Erinnerung. Es ist aber auch eine klare Mahnung für die Gegenwart und Zukunft. Eine Erinnerung daran, dass wir als Gesellschaft auch Einfluss haben. Wir können der Brennstoff für Katastrophen sein, aber auch der Brandschutz. Deshalb war dieser Workshop für uns ein Weckruf, darüber nachzudenken und sich zu informieren, wie die Parteien mit Menschen umgehen wollen. Nicht nur mit Menschen mit Behinderungen und psychischen Erkrankungen (Stichwort: Register für Menschen mit psychischen Erkrankungen), sondern auch mit Menschen mit Migrationshintergrund oder queere Menschen oder gar Frauen und Männern. Es hat uns aufgezeigt, dass wir als Gesellschaft noch mitbestimmen können und selbst nach den Wahlen, können wir als Gesellschaft entscheidend seien, so wie die Menschen es vor 84 Jahren waren, als aufkommende Unruhe in der Gesellschaft dazu führte, dass zumindest die Ermordungen in den Tötungsanstalten aufhörten (Ende Aktion T4).
Wir bedanken uns herzlich bei dem sympathischen und kompetenten Team der Katholischen Hochschule für diese Möglichkeit und das Wissen, was wir mitnehmen konnten. Hoffentlich haben noch mehr Gruppen die Chance, den Workshop zu erleben.
Charlotte Feitscher und Jonah Gendermann für den ZK Geschichte Q2